Grundlagen Plattformen & digitale Ökosysteme (Teil 1)

In einer zunehmend digitalisierten Welt sind Plattformen und digitale Ökosysteme nicht mehr wegzudenken. Sie beeinflussen Branchen weltweit und schaffen neue Möglichkeiten für Wertschöpfung, Zusammenarbeit und Kundenbindung. Besonders die Versicherungsbranche steht vor der Herausforderung, diese Innovationen nicht nur zu adaptieren, sondern aktiv zu gestalten.

In ersten Teil des Insurance Strategy Talk 2020 beleuchte ich (Karl Heinz Passler) mit Philipp Harrschar (Zühlke) und Mirko Lorenz (Zühlke) die Grundlagen, Chancen und Risiken dieser Entwicklungen.

Beschäftigen sich Versicherer bereits mit digitalen Ökosystemen?

Zu Beginn wurde eine interaktive Umfrage durchgeführt, um herauszufinden, inwieweit sich Unternehmen bereits mit digitalen Ökosystemen und Plattformen beschäftigen. Die Ergebnisse waren eindeutig: 90 % der Teilnehmer gaben an, dass ihre Versicherer sich bereits intensiv mit diesem Thema auseinandersetzen. Nur 1 % plant, innerhalb der nächsten sechs Monate damit zu starten, während 6 % angeben, dies innerhalb der nächsten zwölf Monate anzugehen. Lediglich 3 % sehen digitale Ökosysteme derzeit nicht als relevant für ihr Unternehmen an.

Diese Zahlen zeigen deutlich, wie zentral digitale Ökosysteme für die Branche geworden sind. Die überwiegende Mehrheit der Unternehmen ist bereits aktiv und arbeitet daran, ihre Prozesse und Geschäftsmodelle auf die Anforderungen der digitalen Transformation auszurichten. Mit diesen Erkenntnissen wurde der Übergang zum ersten Vortrag gestaltet, der tiefer in die Thematik eintaucht.

Was sind digitale Ökosysteme und warum sind sie relevant?

Mirko Lorenz erklärt, dass sich digitale Ökosysteme auf sogenannte Business-Ökosysteme beziehen. Der Begriff tauchte erstmals 1993 auf und beschreibt Netzwerke von Unternehmen, Kunden und weiteren Akteuren, die gemeinsam ein geteiltes Leistungsversprechen schaffen. Lorenz betont: „Zukünftig sollten Unternehmen weniger darüber nachdenken, in welchen Branchen sie bisher aktiv sind, sondern vielmehr, in welchen Industrien sie mitspielen wollen.“

Ein Schlüsselelement von Business-Ökosystemen ist ihr größerer Gesamtnutzen. Jedes beteiligte Unternehmen trägt seinen Teil bei, wodurch das Netzwerk als Ganzes mehr Wert erzeugt, als die Summe seiner Einzelteile. Diese geteilte Wertschöpfung setzt jedoch Kooperationen voraus. Lorenz beschreibt dies als eine Balance aus Zusammenarbeit und Wettbewerb – auch bekannt als Coopetition. Diese Mischung erfordert sowohl technologische als auch kulturelle Anpassungen.

Chancen für die Versicherungsbranche

für die Versicherungsbranche gibt es kein eigenständiges Ökosystem „Versicherung“. Stattdessen agieren Versicherer als Teil anderer Ökosysteme, wie beispielsweise Mobilität, Gesundheit oder Bildung. Diese Positionierung bietet zahlreiche Chancen, insbesondere durch datengetriebene Geschäftsmodelle. Ein Beispiel aus China illustriert dies: Der Versicherer PingAn orchestriert mit „Good Doctor“ ein umfassendes Gesundheitsökosystem, das Prävention, Diagnostik und Versorgung miteinander verbindet. Dies zeigt, wie der Austausch von Daten innovative Kundenerlebnisse ermöglicht.

Vier Treiber der Ökosystementwicklung

Mirko Lorenz nennt vier zentrale Treiber für die Entwicklung von Ökosystemen:

  1. Technologischer Wettbewerb: Unternehmen müssen Leistungen kosteneffizient erbringen und ihre Wertschöpfung kritisch hinterfragen.

  2. Kundenkontext: Produkte und Dienstleistungen werden stärker in den Lebensalltag der Kunden integriert, wie beispielsweise durch Plattformen, die nahtlose Lösungen für Umzug, Finanzierung und Versicherungen anbieten.

  3. Plattformökonomie: Digitale Plattformen wie Amazon und Airbnb zeigen, wie durch Vernetzung Mehrwert geschaffen werden kann.

  4. Neue Positionierungsstrategien: Versicherer müssen entscheiden, ob sie als Orchestrator, Realizer oder Enabler in einem Ökosystem agieren wollen.

Dieser Ansatz verdeutlicht, dass Unternehmen flexibel und strategisch handeln müssen, um in der digitalen Zukunft erfolgreich zu sein.

Die größten Herausforderungen in vier Dimensionen

Am Ende der Diskussion stellte sich die Frage, wo in den vier Dimensionen – Strategie, Prozesse, Technologie und Organisation – die größten Herausforderungen liegen. Eine interaktive Umfrage unter den Teilnehmern lieferte interessante Ergebnisse: Mit 36 % wurde die Organisation als der herausforderndste Bereich identifiziert. Diese Bewertung überrascht zunächst, doch bei genauer Betrachtung wird deutlich, dass der kulturelle Wandel in Unternehmen oft eine der größten Hürden darstellt. Veränderungen in Denkweisen und Arbeitskulturen sind komplex und erfordern langfristige Anpassungen.

Auf Platz zwei landeten die strategischen Herausforderungen mit 28 %. Hier spielen grundlegende Fragen eine Rolle: Wer sind die richtigen Partner? Wo möchte das Unternehmen aktiv sein? Und welche Aktivitäten sollte man bewusst nicht verfolgen? Diese Überlegungen sind entscheidend, um die eigenen Ressourcen gezielt einzusetzen und sich in einem Ökosystem erfolgreich zu positionieren. Das Bündeln der eigenen Stärken und die klare Fokussierung auf Bereiche, in denen man echten Mehrwert schaffen kann, sind dabei ebenso anspruchsvoll wie essenziell.

Die Ergebnisse zeigen, dass die erfolgreiche Integration in digitale Ökosysteme nicht nur technologische oder prozessuale Fragen betrifft, sondern vor allem auch strategisches Denken und eine starke kulturelle Basis erfordert.

Der Weg in die Zukunft

Die strategische Nutzung digitaler Plattformen und Ökosysteme ist der Schlüssel zum Erfolg. Unternehmen müssen klare Entscheidungen darüber treffen, welche Rolle sie in einem Ökosystem einnehmen wollen – sei es als Orchestrator, Anbieter oder Enabler. Kooperationen, Agilität und eine starke Kundenorientierung sind entscheidend, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben.

Die Versicherungsbranche steht vor der spannenden Herausforderung, sich in einem sich schnell verändernden digitalen Umfeld zu positionieren. Diejenigen, die mutig in neue Technologien investieren und sich flexibel anpassen, werden in der Lage sein, die Potenziale von Plattformen und digitalen Ökosystemen voll auszuschöpfen.


Dieser Artikel repräsentiert den ersten Teil der Veranstaltung „Insurance Strategy Talk“ vom März 2020. Aufgrund der Corona-Einschränkungen wurde der Talk als Home-Office Edition durchgeführt. Der Artikel basiert auf der Transkription des Webinar-Videos.


Philipp Harrschar

Mirko Lorenz

Karl Heinz Passler

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Praxisbericht: Smart Home und Versicherung – Chancen und Hürden (Teil 2)

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